Die wichtigsten Fakten zum Thema Nervenschmerz aufgrund von Diabetes mellitus
DR. VEITH MOSER IM EXPERTENINTERVIEW
Was versteht man unter diabetischer Polyneuropathie?
Diabetiker, die von einer Polyneuropathie betroffen sind, berichten von Schmerzen an Füßen oder den Unterschenkeln, die durch kleinste Berührungen ausgelöst werden. Wir sprechen in solchen Fällen von einer Allodynie, also einer Schmerzempfindung, die von Reizen verursacht wird, die für Gesunde kein Problem darstellen. Zum Beispiel das Tragen von Socken oder eine Decke, die die Füße berührt. Solche normalen Dinge sind für Diabetiker mit Polyneuropathie unerträglich.
Wie erklärt sich dieses Phänomen?
Etwa jeder zweite Diabetiker ist davon betroffen, da es bei dieser Erkrankung zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel kommt, der Organe und Nerven schädigt. Die peripheren Nerven lagern Stoffwechselendprodukte und Wasser ein, was zu einem Anschwellen führt. Sie werden, wenn man so will, „zu dick“ für ihre Umgebung und reagieren entsprechend. Periphere Nerven brauchen ein Umfeld, in dem sie sich frei bewegen und ungehindert gleiten können. Kommt es zu einem Missverhältnis in Bezug auf den Durchmesser, irritiert sie das. Bei Diabetikern führt diese Problematik zu Nervenschäden.
In welcher Form äußert sich die diabetische Polyneuropathie?
Sie tritt meist zuerst an den Füßen auf, die nachts schmerzen und ein reduziertes Wärme-, Kälte- und Vibrationsempfinden aufweisen. Taubheit, Kribbeln und Sensibilitätsstörungen sind keine Seltenheit. Diabetiker sind aufgrund ihrer Erkrankung und solcher Symptome besonders gefährdet, sich Wunden zuzuziehen, die sie nicht bemerken. Diese wiederum heilen schlecht bis gar nicht, da Diabetes mit einer gestörten Wundheilung einhergeht.
Welchen Folgen kann das haben?
Im schlimmsten Fall kann eine Amputation indiziert sein. Als Nervenspezialist habe ich allerdings die Möglichkeit, der Ursache auf den Grund zu gehen und in manchen Fällen mittels Operation etwas Derartiges zu verhindern. Ist beispielsweise ein Nerv im Fuß eingeengt, was zu Missempfindungen führt, die bei Diabetikern ungleich schwerer wiegen, als bei jenen, die nicht davon betroffen sind, kann dieser im Rahmen einer OP befreit werden. Der Patient ist danach zwar nicht gesund, hat aber keine Gefühlsstörungen mehr im Fuß und läuft nicht Gefahr, sich unbemerkt zu verletzen.
Ist jeder Diabetiker chirurgisch behandelbar?
Nein, aber es empfiehlt sich, einen hochauflösenden Nervenultraschall durchführen zu lassen, wenn im Rahmen dieser Erkrankung Probleme in den Füßen auftreten. Ist beispielsweise der Nervus tibialis im Fuß eingeengt, hat das ein so genanntes Tarsaltunnelsyndrom zur Folge, welches die Symptome einer Polyneuropathie imitiert. Dieses lässt sich operativ beheben, allerdings muss vorher genau abgeklärt werden, ob der Nervus tibialis die Probleme verursacht.
Das heißt, bei Ihnen können Diabetiker vorstellig werden, wenn sie Nervenschmerzen in den Füßen haben oder eine Zweitmeinung einholen, wenn bei Ihnen eine Polyneuropathie diagnostiziert wurde?
So ist es. Wer sichergehen möchte, ob es sich tatsächlich ausschließlich um eine diabetische Polyneuropathie handelt, sollte einen hochauflösenden Ultraschall durchführen lassen. Möglicherweise ergibt dieser, dass eine Operation hilfreich wäre, weil ein Nerv eingeengt ist und sich unwohl fühlt. Wir können nicht allen helfen, aber ein Blick auf die Fußnerven lohnt sich allemal. Diabetes mellitus ist eine schwerwiegende Erkrankung – wenn man mittels alternativer Behandlungsverfahren die Lebensqualität verbessern kann, haben alle gewonnen. Natürlich ist die Mitarbeit des Patienten unabdingbar. Sowohl in Bezug auf seine Grunderkrankung, als auch auf die Zeit vor und nach der Operation.
Verfasst von Mag. Sonja Streit